Die Aktivitäten von Ayatollah Alavi Borujerdi und die Annäherung zwischen Sunniten und Schiiten


Ajatollah Alawi Borujerdi

Ayatollah Alavi Boroujerdi

Die Rolle und Funktion der Geistlichkeit in Iran wird in allen wissenschaftlichen und politischen Diskursen unserer Gesellschaft diskutiert. Was wir oft dabei beobachten, sind Haltungen, die mit Vorurteilen und Stereotypen arbeiten. Was die schiitische Geistlichkeit in Iran ist, möchte ich hier aber nicht eingehend diskutieren, stattdessen konzentriere ich meine Aufmerksamkeit auf das dialogische Anliegen von Ayatollah Seyyed Mohammad Javad Alavi Boroujerdi (geb. 1954) im Hinblick auf das Verhältnis zwischen dem sunnitischen und schiitischen Islam.

Gewiss hat in der Geschichte des Islam die schiitische Geistlichkeit einen großen Einfluss ausgeübt - und zwar nicht nur auf islamische Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaften, sondern sie hat auch zahlreiche andere Gebiete mit geformt. Diese Erkenntnis, die in der islamischen Welt ein Allgemeinplatz ist, kann in den westlichen Gesellschaften nicht genug hervorgehoben werden, weil wir Menschen aufgrund der Umstände der Zeit gerne die Errungenschaften anderer Kulturen kleinreden oder geradezu übersehen. Die schiitisch-iranische Geistlichkeit ist von Mannigfaltigkeit geprägt. Es ist zu beobachten, dass im Westen das negative, im Hinblick auf politische Weltereignisse dargestellte Bild nur eine angenommene Seite der Geistlichkeit repräsentiert.

Darüber hinaus wird bei der Darstellung von politischen Konflikten im Nahen Osten häufig betont, dass es sich angeblich um religiöse Rivalitäten zwischen den Konfessionen der Sunniten und Schiiten handeln würde. Die Realität - jenseits aller journalistischen Oberflächlichkeit und Fake-News - spricht hingegen eine völlig andere Sprache. Die schiitisch-iranische Geistlichkeit hat bereits vor der Islamischen Revolution im Jahr 1979 einen breiten Diskurs mit Sunniten entfaltet, der bis in unsere Tage hinein vertieft worden ist. Dabei werden die vielen Gemeinsamkeiten und die wenigen Differenzen, die politischer Natur sind, sensibel diskutiert.

Großayatollah Borujerdi als früher Vermittler zwischen Sunniten und Schiiten

Bahnbrechende Erfolge im Diskurs zwischen diesen Konfessionen erzielte bereits Großayatollah Seyyed Hussein Borujerdi (1875-1961), der Großvater von Ayatollah Alavi Borujerdi. In dem damaligen theologischen Zentrum des Schiitentums, in der religiösen Hochschule von Najaf im Irak, entwickelte sich Großayatollah Borujerdi als ein erfolgreicher Schüler von Akhund-e Khorasani (1839-1911). Lehrmeister Khorasani ist zum einen anerkannt aufgrund seines rechtswissenschaftlichen Nachschlagwerks (der Kifāya), das in den religiösen Hochschulen als Unterrichtsgrundlage verwendet wird, zum anderen gilt er als eine der Hauptfiguren in der iranischen Geistlichkeit, welche die Verfassungsrevolution (1905-1911) mit unterstützt haben. Großayatollah Borujerdi eröffnete einen Diskurs mit der sunnitischen Geistlichkeit, um eine Annäherung zwischen beiden Glaubensgemeinschaften zu initiieren. Ein Erfolg dieses dialogischen Diskurses ist die Anerkennung der schiitischen Rechtsschule durch den Großmufti von al-Azhar, Scheich Mahmud Schaltut (1893-1963).

 Die Kindheit und Jugend Ayatollah Borujerdis

Der Enkelsohn des Großayatollah Borujerdi, Ayatollah Alavi Borujerdi, ist in einer geistlich geprägten Familie aufgewachsen, sein Vater war ebenfalls Geistlicher.

Ayatollah Alavi Borujerdi besuchte zunächst eine staatliche Schule, dann das Gymnasium. Bereits in dieser frühen Zeit beschäftigte er sich mit der Lektüre religiöser Bücher und dem Erlernen der arabischen Sprache. Die Möglichkeit zur Teilnahme an theologischen Sitzungen vermittelte dem Jungen die Bekanntschaft mit religiösen Akademikern sowie mit Geistlichen, die sich aktiv gegen die Monarchie von Mohammad Reza Pahlavi engagierten. Dies bedeutete für den Jugendlichen die Einführung in die Gedankenwelt von sogenannten „Traditionalisten“ und „Modernisten“. Seine Überlegungen wurden im Lauf seines Lebens von Strömungen beider politischer Lager geprägt.

Nach dem Abitur nahm Ayatollah Alavi Borujerdi ein Jurastudium an der staatlichen Universität in Teheran auf. Obwohl er sehr gute Englischkenntnisse vorweisen konnte und einem Studium im Ausland nichts im Wege stand, zog er es vor, weiter in seinem Heimatland zu studieren. Nach einiger Zeit, in welcher der junge Alavi Borujerdi einen Wandel im Denken durchlebte, brach er dieses Studium ab und traf die Entscheidung, den Weg seines Vaters und seines Großvaters zu wählen. Er begab sich nach Qom, wo sich die wichtigste religiöse Hochschule für schiitische Theologie, Philosophie, Jurisprudenz, Koran- und Überlieferungswissenschaften befindet. In Ghom, wo er bis heute lebt und wirkt, setzte er sein Studium bis zum höchsten Grad des Ijhtihads, der Erlaubnis zur selbständigen Rechtsfindung des Rechtsgelehrten, fort.

Borujerdi und seine Bedeutung für die Annäherung zwischen Sunniten und Schiiten in der Gegenwart

Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Denkrichtungen war für das Leben von Ayatollah Alavi Borujerdi prägend. Seine Überlegungen im Hinblick auf Theologie und Jurisprudenz, die er als Erbe seines Großvaters fortsetzte, bringt er auf dem Gebiet der Annäherung zwischen Sunniten und Schiiten mit Erfolg ein. Die Errungenschaften des Großvaters, nämlich das "Institut zur Annäherung zwischen islamischen Rechtsschulen" ist der Grundstein, auf dem Ayatollah Alavi Borujerdi aufbaut. Seiner Auffassung nach sind Sunniten und Schiiten durch zahlreiche Gemeinsamkeiten verbunden: für beide sind der Koran (das heilige Buch der Muslime und die wichtigsten Geistesquelle des Islams) und die Sunna (die prophetischen Überlieferungen) grundlegend. Im Hinblick auf religiöse Überzeugungen, die sowohl sunnitische als auch schiitische Gelehrten in ihren Werken erwähnen und worin sie auseinandergehen, wie die theologische und damit einhergehend die politische Nachfolge des Propheten, müssen beide nach einer neuen gemeinsamen hermeneutischen Betrachtung suchen.

Für Ayatollah Alavi Borujerdi ist es grundlegend, zwischen Sunniten und deren Rechtsschulen auf der einen Seite und Wahhabiten auf der anderen Seite eine klare Grenze zu ziehen, da der Wahhabismus dem Geist des Islam und dessen Lehren fremd sei. Anzumerken ist hier, dass der Wahhabismus weniger eine religiöse, sondern vielmehr eine politische Bewegung darstelle, die den Islam zu ihren Gunsten auslege und ausnutze. Ayatollah Alavi Borujerdi hält die Annäherung zwischen den islamischen Rechtsschulen in der Gegenwart für eminent bedeutsam, da jede Meinungsverschiedenheit zwischen Muslimen von extremistischen Gruppierungen ausgenutzt und besetzt werden könne.

Weitere Aktivitäten von Ayatollah Alavi Borujerdi

Neben seinen Verpflichtungen in Forschung und Lehre gründete Ayatollah Alavi Borujerdi das Institut "Großayatollah Seyed Hussain Borujerdi" in Qom. Er setzt sich zudem für die Restaurierung der großen Kuppel und der Minarette der Azam-Moschee in Qom ein, die von seinem Großvater gebaut worden ist. In Zentralasien, in der Türkei und im Kaukasus werden mit seiner Hilfe religiöse Werke für Schiiten veröffentlicht.

Es bleibt zu hoffen, dass die Maxime von Großayatollah Borujerdi, der sich mit Leib und Seele für den innerislamischen Dialog eingesetzt hat, heute durch dessen Enkel, der in Iran eine große Anerkennung genießt, fortgesetzt werden möge.


Dr. phil. Sedigheh Mousavi Dr. phil. Sedigheh Mousavi Khansari arbeitet an der Philosophischen Fakultät "Orient- und Islamwissenschaft" der Eberhard Karls Universität Tübingen und ist die Autorin des Buchs "Molla Sadras Handlungstheorie im historischen Kontext". Ihre Forschungsgebiete sind unter anderem die Schiitische Philosophie vom 13. bis ins 17. Jahrhundert, Handlungstheorie und die Geschichte der Safawiden.

 


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Orientalist27-12-18

Ich habe jetzt nicht ganz verstanden oder erkannt, warum Ayatollah Alavi Borujerdi in der Frage Schiiten-Sunniten unter den schiitischen Klerikern hervorstechen soll, denn das, wofür die Boroujerdis stehen, stehen doch alle regimeloyale Kleriker in Iran. Das interessante ist doch, dass im Schiitentum ausgerechnet die wenigen klerikalen Gegner der Islamischen Republik eine äußerst distanzierte Haltung gegenüber Sunniten haben. Wird im Westen aber nie thematisiert, passt es doch nicht im gängigen Narrativ über die vielen "bösen Mullahs", die das "Regime in Teheran" die Stange halten, und die wenigen "guten Mullahs", die das "Regime" bekämpfen.





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