08.09.2017 Shayan Arkian

Wie der Islam durch die inhärente Medienlogik zum Feindbild wurde


Islam und Moslems in der Presse.

Islam und Muslime in den Medien.

Das Thema öffentliche Wahrnehmung und Medienberichterstattung über die Muslime in Deutschland ist ein sehr komplexes Thema, das mehrere Seiten benötigt, um es gebührend zu behandeln. Denn auf der einen Seite stellt sich die Frage, wie Wahrnehmungen entstehen, welche Mechanismen und Prozesse sich dahinter verbergen und nach welcher Logik diese funktionieren. Des Weiteren stellt sich die Frage, welche Aufgaben die Medien in den jeweiligen politischen Systemen haben, - in unserem Fall in der Bundesrepublik Deutschland. Um dieses Themenkomplex wiederum darzustellen, müsste untersucht werden, was die weltanschauliche Grundlage der Bundesrepublik Deutschland ist.

Auf der anderen Seite stellt sich dann aber auch die Frage, wie die Muslime selbst in Deutschland auftreten und welche Leistung sie in diesem Land erbringen. Abschließend müsste verglichen werden, inwieweit die öffentliche Wahrnehmung über die hier lebenden Muslime der Wirklichkeit entspricht. 

Um aber im Rahmen einer journalistischen Arbeit zu bleiben, wird der Fokus im vorliegenden Artikel auf folgende Punkte gelegt: Wie funktionieren Medien grundlegend, und welche Art der Berichterstattungen ergibt sich daraus für die hier lebenden Muslime?

Medien nutzen Bruchlinien

Medien sind oft ein Spiegelbild der Gesellschaft. Einerseits beeinflussen sie gesellschaftliche Entwicklungen und Trends, andererseits sind sie selbst auch Resultate dieser Entwicklungen. In diesem Zusammenhang ist der Religionsmonitor von 2013, eine von der Bertelsmann Stiftung durchgeführte empirische Untersuchung zur Religiosität in Deutschland von Bedeutung. Die Studie ermittelt, dass nur 38,5 Prozent der Menschen in Deutschland - mehr oder weniger stark - an einen Gott glauben. Dazu kommt, dass nur eine Minderheit der mehrheitlich Religiösen in Deutschland, also der Christen, an klassische religiöse Glaubenssätze - wie Paradies, Hölle, Jüngstes Gericht und dergleichen - glaubt, wie es weitere Studien belegen. Der Grad der Individualisierung der Religion ist demnach sehr hoch.

Diese persönliche Einstellung der Mehrheitsbevölkerung in Deutschland führt dazu, dass Gruppen, die festen, zeitlosen, moralischen und ethischen Glaubenssätzen folgen, als rückständig, befremdlich und in letzter Instanz als bedrohlich empfunden werden. Weitere Studien belegen, dass die Gläubigen in Deutschland mit der höchsten religiösen Praxis und Verbundenheit zu einem gewissermaßen „zeitlosen“ Religionsverständnis die Muslime sind. Folglich sorgt diese Bruchlinie zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Minorität für potentielle Spannungen, die von den Medien natürlich aufgegriffen werden, da diese einen Nachrichtenwert darstellen.

Das Diktat des materiellen Erfolgs

Und hier kommen wir zur Crux der Thematik. Klassischerweise sollen Medien in einer liberal-demokratischen Staatsordnung die Rolle eines Korrektivs spielen: Sie sollen die Politik kontrollieren und die Öffentlichkeit aufklären. In der Praxis gelingen diese idealen Bestrebungen allzu oft nicht. Denn Medien sind letztlich Wirtschaftsunternehmen, die primär darauf aus sind, ihre Auflagen und die Einschaltquote zu erhöhen, um dadurch mehr Einnahmen zu erzielen und ihre Existenz zu sichern. Für diese Zwecke sind Ideale wie Aufklärung, Differenzierung und Nüchternheit nicht unbedingt zweckdienlich. Ein Artikel mit einer sachlichen, differenzierten und nüchternen Überschrift zieht viel weniger Leserschaft an als eine sensationslüsterne, plakative, vereinfachte und provokative Überschrift. Insbesondere das primäre Ziel von privaten Mediengiganten ist nicht die Erziehung und Vervollkommnung der Menschen oder ihre Aufklärung, vielmehr folgen sie wesentlich dem Zwang der Existenzsicherung oder gar dem kapitalistischen Zwang der Profitmaximierung. Staatliche Medien, die diesem kapitalistischen Zwang nicht ausgesetzt sind, weil sie überwiegend von der öffentlichen Hand finanziert werden, berichten demzufolge differenzierter und sachlicher. Allerdings sehen sie sich immer mehr im Wettbewerb zu den Privatmedien und die Produktionsfirmen der Sendungen stehen in der Konkurrenz zueinander. Das heißt, dass die Produktionsfirma der politischen Diskussionssendung „Anne Will“, die in der ARD läuft, in direkter Konkurrenz um Einschaltquoten zu der politischen Diskussionssendung „Hart aber Fair“, die ebenfalls in der ARD läuft, steht. Dieser Konkurrenzdruck führt oft dazu, dass Quantität statt Qualität im Vordergrund steht. Erfolg und Werbeeinnahmen werden hauptsächlich durch hohe Einschaltquoten generiert. Man mutet den Zuschauern nicht zu, eine Sendung mit einem wissenschaftlichen Diskurs von Fachleuten auszustrahlen. Es gibt die weitverbreitete Annahme unter den Medienmachern, dass solche Formate die Zuschauer langweilen und abschrecken. Man will den Zuschauer und Leser nicht herausfordern, sondern eher unterhalten.

Medienlogik bedingt Infotainment

Diese Medienlogik des Infotainments verursacht zudem, dass Medien überwiegend schlechte Nachrichten aufgreifen. Ein berühmter Grundsatz in der Medienwelt lautet: „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.“ Schlechte Nachrichten haben einen Unterhaltungsfaktor. Diese werden entsprechend der oben genannten Medienlogik oft vereinfacht, pauschal, einseitig und karikativ im „Gut-Böse-Schema“ dargestellt.

Ein Beispiel, dass diesen Sachverhalt und seine fatale Konsequenzen aufzeigt, ist Folgendes: Es sind sage und schreibe zehn Jahre nach dem 11. September verstrichen, bis die Massenmedien allmählich begannen, in ihren Berichterstattungen zwischen den verschiedenen islamischen Konfessionen zu unterscheiden und so „Al-Qaida“ - und ihre spätere Abspaltung „IS“ als ein aus dem Wahhabismus stammendes Phänomen zu benennen. Bis zu dieser Zeit wurden fast ausnahmslos sämtliche politische und militante islamisch begründete Organisationen verschiedener Couleurs der Einfachheit  halber mit der bloßen Etikettierung „islamistisch“ umschrieben. Die Leser und Zuschauer sollten ja nicht überfordert, sondern eher unterhalten werden. Rein begrifflich schon führt aber diese Pauschalisierung zu falschen Schlüssen und Bewertungen, denn der Terminus „islamistischer Terror“ zum Beispiel wird gemeinhin in der Abgrenzung zu allen anderen Religionen und Weltanschauungen wahrgenommen, wohingegen der Terminus „wahhabitischer Terror“ in der Abgrenzung zu anderen islamischen Konfessionen verstanden werden würde. Das heißt: Indem die Umschreibung „islamistischer Terror“ verwendet wird, wird suggeriert, dass Muslime selbst nicht von diesem Phänomen bedroht sind. Wird hingegen die Beschreibung „wahhabitischer Terror“ verwendet, wird deutlich, dass andere Muslime ebenfalls von dieser Bedrohung betroffen sind. Und tatsächlich sind die zahlenmäßig größten Opfer von Al-Qaida und „IS“ eben Muslime. Hätten die Massenmedien von Begin des globalen wahhabitischen Terrors an solch eine differenzierte Beschreibungen vorgenommen, wäre es allein durch die Sprache bedingt, wahrzunehmen, dass der Islam an sich nicht diese Gefahr darstellt, sondern eine bestimmte Strömung von ihm.

Dieses kleine Beispiel zeigt, wie einerseits Worte weitreichende Wahrnehmungen produzieren und wie andererseits die kapitalistische Medienlogik diese Worte eben indifferent, pauschal und plakativ verwendet, um eben die Leser und Zuschauer nicht zu überfordern. Ja, manchmal führt diese Medienlogik sogar dazu, bestehende Vorurteile in der Gesellschaft aufzugreifen, diese zu bestärken und zu vertiefen, um dadurch noch bessere Einschaltquoten zu erzielen oder eine größere Leserschaft zu gewinnen.

So werden seit einigen Jahren typische Probleme, die Immigranten betreffen, in Bezug auf Muslime jedoch nicht (mehr) soziologisch, sondern zunehmend als Probleme, die religiös begründet sind, aufgearbeitet. In diesem Zuge werden häufig in Diskussionssendungen sogenannte Islamkritiker als Gesprächsteilnehmer mit eingeladen, die die zu erwartende bzw. einkalkulierte Provokation mitliefern sollen, um dadurch der Sendung den nötigen kommerziellen Reiz zu geben.

Infotainment befeuert das „Feindbild Islam“

Diese mediale Vereinfachung und Sensationslust bewirkt in der öffentlichen Wahrnehmung eine zunehmende Islamfeindlichkeit. Die eingangs erwähnte Studie von Bertelsmann fragte 2013 die Menschen in Deutschland: „Wenn Sie an die Religionen denken, die es auf der Welt gibt: Als wie bedrohlich bzw. wie bereichernd nehmen Sie die folgenden Religionen wahr?“ Tatsächlich schneidet der Islam bei dieser Befragung am schlechtesten ab: 53 Prozent der Menschen in Deutschland nehmen den Islam demnach als bedrohlich und nur 26 Prozent als bereichernd wahr. Zum Vergleich: 45,5 Prozent der Menschen in Deutschland nehmen den Hinduismus als bereichernd und 11,5 Prozent als bedrohlich wahr, obwohl aus der weltanschaulichen Blickwinkel des Westens man vermutlich mindestens genau so viele Kritikpunkte gegen den Hinduismus anbringen könnte wie gegen den Islam.

Aber der Hinduismus wird derzeit nicht in der Folge einer direkten oder indirekten territorialen Auseinandersetzung als politische Waffe gegen den Westen eingesetzt und seine Weltanschauung wird damit nicht in unmittelbarer Konkurrenz zu der des Westens empfunden. Einer der wichtigsten Verbündeten des Westens, nämlich Israel, hält nicht seit mehreren Jahrzehnten ein hinduistisch bevölkertes Land besetzt; das Land mit den meisten Hindus, Indien, grenzt auch nicht an der von den Nachbarbevölkerungen wahrgenommen expansiven, „westlichen Speerspitze“ Israel. Es gibt einfach keinen Konflikt mit dem Westen, der „hinduistischen Widerstand“ bzw. "hinduistischen Terror" gegen den Westen züchtet. Hinzu kommt, dass es in Deutschland kaum Hindus gibt, womit der Anlass für negative Berichterstattungen über die typischen Probleme von Immigranten in Bezug auf Hindus nicht gegeben ist.

Um es kurz zu machen: Aufgrund der weltpolitischen Konstellation und der demographischen Verhältnisse in Deutschland ist gegenwärtig nicht der Hinduismus, sondern der Islam Opfer der inhärenten Medienlogik geworden.
 

Shayan ArkianShayan Arkian ist unter anderem Medien- und Politikberater und studierte Politik, Philosophie, Pädagogik und Theologie in Hamburg und Qom.

 

 

 


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SA22-01-18

Allerdings tragen die Medien nicht alleine die Schuld an dieser undifferenzierten Islamdebatte, sondern ebenso die führenden muslimischen Vertretern mit ihrem pauschalen und folgrenreichen Standardsatz: "Das hat nichts mit dem Islam zu tun!" Mehr dazu hier: http://www.multiperspektivisch.de/nachricht/detail/17.html





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