19.02.2018 Shayan Arkian

Das Thema repräsentative US-Umfragen in Iran und die letzte Enthüllung: Wie ist die Stimmung nach den Protesten?


Junge Menschen aus unterschiedlichen Milieus demonstrieren für die Islamische Republik Iran.

Junge Menschen aus unterschiedlichen Milieus demonstrieren für die Islamische Republik Iran.

Als nach den Unruhen um die Wiederwahl des damaligen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad in Iran 2009 die erneute wunschdenkerische Erwartung im Westen über einen baldigen Sturz der Islamischen Republik abermals sich nicht erfüllte, begannen eine Reihe von US-Instituten (Word Public Opinion, University of Maryland, International Peace Institute, Charney Research, Pew Research Center, Information and Public Opinion Solutions usw.) vermehrt damit, repräsentative Umfragen darüber durchzuführen, wie die Menschen in Iran eigentlich denken, statt beispielsweise wie sonst üblich iranische Analysten im Exil darüber auszufragen oder tatsächlich oder vermeintlich aus Iran stammende Tweets als repräsentativ zu behandeln.

Anfänglich wurden diese repräsentative Studien in englischsprachigen Medien (von den deutschsprachigen Medien ganz zu schweigen) fast systematisch ignoriert, widersprachen sie doch nahezu alle im Westen gehegten Vorstellungen über Iran und zeigten vor allem eine absolute mehrheitliche Unterstützung des hierzulande verhassten einstigen Präsidenten Ahmadinejad.

Erst im Zuge der Präsidentschaftswahl von 2013 erhielten repräsentative Erhebungen über das Denken der Menschen in Iran allmählich einen breiteren publizistischen Raum, wenn diese auch noch kaum in der Analysefindung der bekannten Iran-Experten eingeflossen sind und ernst genommen wurden - sahen sie doch meist den sogenannten „Hardliner“ Saeed Jalili (natürlich ohne irgendwelche handfeste Argumente) als den künftigen Präsidenten der Islamischen Republik, obwohl sämtliche repräsentative Umfragen dem widersprachen.

Inzwischen hat sich die Situation in der Forschung und Berichterstattung über die iranische Politik signifikant verändert, bedingt einerseits durch eine neue Generation von Iran-Experten, die im Vergleich zu ihren Vorgängern weniger aus einem voreingenommenen Exilantenmilieu kommen und deshalb auch gegenüber Meinungsumfragen aufgeschlossener sind, deren Ergebnisse ihr weniger vorgefertigtes Iran-Bild zuwiderlaufen, und andererseits durch die kommunikative Globalisierung, die es im Gegensatz zur Vergangenheit schwer macht, bei der Recherche von iranischen Stimmen und Perspektiven den konservativen Teil aus Iran völlig zu übersehen.

Die Objektivierung hat mittlerweile einen Grad erreicht, in dem es in englischsprachigen Medien nicht mehr unüblich ist, repräsentative Befragungen in der Bewertung von iranischen Verhältnissen als Grundlage zu übernehmen. Was den deutschsprachigen Bereich angeht, war IranAnders bis kürzlich vermutlich das einzige Medium, dass immer wieder auf die vorhandenen demoskopischen Untersuchungen hinwies und diese - statt gängige unsubstantiierte Behauptungen - als Basis seiner Analysen nahm. Nun aber hat - nach einer andauernden Zeit einer systematischen Unterschlagung - erstmals auch ein sogenanntes etabliertes Qualitätsmedium im deutschsprachigen Raum über eine jüngst veröffentlichte repräsentative Meinungsforschung berichtet, die die hiesigen bizarren Analysen über die regierungskritischen Proteste um die Jahreswende stark widersprechen.

Es handelt sich um die repräsentative Umfrage der US-Universität Maryland (Center for International and Security Studies at Maryland) in Zusammenarbeit mit dem kanadischen Institut IranPoll, die vom 16. bis 24. Januar 2018, das heißt, nach den Protesten in Iran durchgeführt worden war. Der Fehlerbereich liegt hier bei +/- 3,1 Prozent.

Im Folgenden werden nun einige Zahlen der Erhebung aufgelistet und teilweise kurz erläutert.

Nicht Armut und fehlende Freiheitsrechte, sondern Arbeitslosigkeit und sinkender Lebensstandard seien die dringendste Probleme

  • Nur 1,7 Prozent der Menschen in Iran seien der Meinung, dass die Armut das dringendste Problem sei.

Diese sehr geringe Zahl hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass es in Iran - neben dem staatlichen sozialen Sicherungssystem - zahlreiche karitative und religiöse Sozialstiftungen gibt, die teils unter der Aufsicht des religiös-politischen Staatsoberhaupts, Ayatollah Ali Khamenei, stehen. Gerade diese seien aber nach Angaben einiger Analysten in der westlichen Hemisphäre ein Beweggrund für die Proteste gewesen, weil deren Budgets sich angeblich massiv erhöht hätten, ohne aber etwas dafür zu leisten.

  • Die relative Mehrheit von 49,5 Prozent seien der Ansicht, dass die Arbeitslosigkeit das dringendste Problem sei.

Dieses Empfinden deckt sich mit der aktuellen Arbeitslosenrate, die unter dem amtierenden moderaten Präsidenten Hassan Rouhani sich höher beläuft als unter seinem Vorgänger Ahmadinejad.

  • Im Mai 2015 habe nur die kleinste Minderheit von 21,2 Prozent in Iran die allgemeine wirtschaftliche Situation als "sehr schlecht" bezeichnet und entsprechend die relative Mehrheit von 49,3 Prozent sei der Auffassung gewesen, dass sie im Begriff sei, auch noch besser zu werden.

  • Diese Zahlen haben sich sukzessiv und dramatisch umgekehrt. Nun sei die relative Mehrheit von 40,7 Prozent in Iran der Ansicht, dass die allgemeine wirtschaftliche Situation des Landes "sehr schlecht" sei. Und die absolute Mehrheit von 58,4 Prozent gehe sogar davon aus, dass sie im Begriff sei, noch schlechter zu werden.

  • Eine sehr knappe relative Mehrheit von 41,4 Prozent in Iran sei der Auffassung, dass die wirtschaftliche Situation ihrer Familie in den letzten vier Jahren sich verschlechtert habe. 41,3 Prozent dächten, dass sie unverändert sei und nur 17,3 Prozent würden meinen, dass sie sich verbessert habe.

Die aktuellen Ergebnisse stellen einen Tiefstwert dar. Sie stimmen mit den Wirtschaftszahlen überein, die besagen, dass der Lebensstandard in Iran unter Hassan Rouhani sich insgesamt verschlechtert habe - selbst unter dem hart sanktionierten Iran während der Präsidentschaft Mahmoud Ahmadinejads sei der Lebensstandard insgesamt besser gewesen. Auch der vom US-Außenministerium mitfinanzierte britische Auslandssender BBC Persian, dem keinerlei Sympathie für die vorherigen Ahmadinejad-Regierungen vorzuwerfen ist, räumt diesen Umstand ein: Der Lebensstandard der Bevölkerung in Iran unter den Regierungen Ahmadinejads sei zusammengefasst nicht nur eindeutig besser als unter den Regierung Rohanis, sondern sogar unter der des reformorientierten Präsidenten Mohammad Khatami gewesen.

  • Bloß 0,3 Prozent der Menschen in Iran würden fehlende bürgerliche Freiheiten als das dringendste Problem betrachten. Zudem seien 56,2 Prozent der Meinung, dass sie ein ziemlich richtiges Maß an politischen Freiheiten genießen.

  • Maximal nur 26,3 Prozent seien mehr oder minder der Meinung, dass sich die Regierung zu stark in das Privatleben der Menschen einmische. Hingegen würden mindestens 57,7 Prozent das Ausmaß der Kontrolle für ziemlich angemessen halten und mindestens 17,9 Prozent sogar für "zu wenig".

Wirkliche Experten würden von diesen Befunden nicht überrascht sein, gibt es doch mehrere demoskopische US-Untersuchungen, die zum gleichen Ergebnis kommen. Hier ist auch zu berücksichtigen, dass so etwas wie allgegenwärtige Sittenwächter in Iran nicht existieren, auch wenn dieses Mythos im Westen weiterhin falsch tradiert wird. In der Tat wird der deutsche Iran-Reisender erkennen können, dass die Präsenz von Sicherheitskräften in der deutschen Hauptstadt Berlin dichter und größer ist, als in der iranischen Hauptstadt Teheran. Und der französische Iran-Reisender wird angesichts der in Iran kaum präsenten Militär den Eindruck bekommen, dass Frankreich - und nicht Iran - unter einer Militärherrschaft stünde.

Mehrheit gegen fundamentale Veränderung des politischen Systems

  • 76,7 Prozent der Iraner_innen widersprächen der Meinung, dass das politische System eine fundamentale Veränderung benötige. Davon seien sogar 53,5 Prozent "stark dagegen".

  • Des Weiteren sei die absolute Mehrheit von 59,3 Prozent dafür, dass die Regierung das Islamische Recht implementiere - die relative Mehrheit von 33,3 Prozent ist sogar dafür, dass dies "strikt" geschehe. Ferner seien 77 Prozent der Auffassung, dass die politischen Entscheidungsträger des Landes zumindest die religiösen Lehren in ihren Entscheidungsprozessen beachten sollen.

Ebenfalls sind die Resultate dieser Erhebungen nicht erstaunlich, decken sie sich gleichwohl mit anderen repräsentativen US-Studien, darunter mit einer aufwendigen persönlichen Befragung in privaten Wohnsitzen in Iran. An dieser Stelle ist anzumerken, das die Vorstellungen über das islamische Recht oder islamische Lehren different sein können, ermittelt indes die selbige Befragung, dass die relative Mehrheit von 45 Prozent der muslimischen Iraner_innen die iranischen Gesetze für nur mittelmäßig konform mit dem Islam ansehen.

Mehrheit für Freilassung von regierungskritischen Demonstranten, jedoch für strafrechtliche Belangung von systemkritischen Protestlern

  • Auf der einen Seiten seien die absolute Mehrheit von 74,2 Prozent der Menschen in Iran der Ansicht, dass die meisten derjenigen friedlichen Protestierenden, die in Gewahrsam genommen wurden und die gegen den Islam oder die religiösen Gesetze Parolen skandierten, strafrechtlich belangt werden sollen.

  • Auf der anderen Seite seien aber die absolute Mehrheit von 64,5 Prozent der Meinung, dass die meisten derjenigen friedlichen Demonstranten, die in Gewahrsam genommen wurden und gegen die Regierungspolitik Parolen skandierten, entlassen werden sollen.

  • Allerdings seien die absolute Mehrheit von 68,3 Prozent wiederum dafür, dass die meisten derjenigen friedlichen Protestlern, die in Gewahrsam genommen wurden und gegen das politische System Irans Parolen skandierten, strafrechtlich belangt werden sollen.

Diese bedeutungsvolle Daten widersprechen die karikativen Annahmen im Westen, die einfach davon ausgehen, dass Mensch in Iran nicht unterscheiden könnten zwischen Kritik an bestimmten Entscheidungsträgern oder Verhältnissen von der Kritik an der Islamischen Republik als solche und somit oftmals alle Form einer Unzufriedenheit in Iran als systemkritisch auslegen.

  • Die meiste Zustimmung mit 63,9 Prozent für eine harte Bestrafung erhielt die Auswahl derjenigen Protestler, die in Gewahrsam genommen wurden und die Polizei attackierten. So sei auch eine geringfügig größere absolute Mehrheit von 66,3 Prozent der Auffassung, dass die Polizei die Proteste mehr oder weniger gut gehandhabt habe und dabei dächten 63,9 Prozent, dass die Polizei ein angemessenes Maß an Gewalt angewendet habe.

Freilich sind bei den sieben Tage anhaltenden Protesten über 20 Menschen auf beiden Seiten gestorben. Diese Anzahl gilt jedoch in der Region für gewaltsame Auseinandersetzungen in solch einem Zeitraum bedauerlicherweise als eher gering als hoch.

Mehrheit für weiteres militärisches Engagement in Syrien

  • Ungeachtet des erklärten Siegs gegen den IS in Syrien befürworte die relative Mehrheit von 48,5 Prozent in Iran das weitere militärische Engagement Teherans, bis Assad die volle Kontrolle über das ganze Land gewonnen habe. Ergänzend seien 84 Prozent der Meinung, dass über die Fortsetzung der Präsidentschaft Assads das syrische Volk zu entscheiden habe.

Hier ist zu bemerken, dass Teheran sein Engagement unter anderem eben damit begründet, dass syrische Volk zu bemächtigen, über sein eigenes Schicksal zu entscheiden, indem militärisch verhindert wird, dass Assad - bei von Teheran plädierten faire und freie Wahlen unter internationaler Aufsicht - von vornherein ausgeschlossen wird, wie dies gerade von Teilen des Auslands und der Exil-Opposition militärisch versucht und beabsichtigt wird.

Mehrheit für weiteres militärisches Engagement im Irak

  • 61,2 Prozent in Iran seien der Ansicht, dass das aktuelle Engagement im Irak und in Syrien die nationalen Interessen ihres Landes nicht wirklich verletze. So seien 54,8 Prozent auch dafür, dass Teheran seine Unterstützung im Kampf gegen terroristische Gruppierungen - wie gegen den IS - erhöhen solle, wobei 31,7 Prozent der Meinung seien, dass der jetzige Grad an Unterstützung beibehalten werden solle.

  • Analog dazu sei die Mehrheit von 51,1 Prozent im Großen und Ganzen dagegen, dass die Regierung weniger Geldmittel im Irak und in Syrien ausgeben soll. Und 77,6 Prozent seien der Auffassung, dass Iran seinen Einfluss im Irak nutzen solle, um eine Politik zu unterstützen, die sowohl Schiiten als auch Sunniten zugutekommt.

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass in der Selbstwahrnehmung der Islamischen Republik Iran keine sektiererische Politik - weder im Irak noch anderswo in der Region – verfolgt werde. Laut dem renommierten Iran-Experten Dr. Walter Posch habe Teheran selbst den ehemaligen Ministerpräsident Nuri al-Maliki stets zur Einbindung der Sunniten gedrängt.

Popularität von Rohani und Zarif auf Tiefstwerte, von Soleimani auf neuem Spitzenwert

  • In der repräsentativen Meinungsumfrage geht die libanesische Hisbollah als die populärste ausländische Entität (Akteur/Staat) mit insgesamt 64,7 Prozent Zustimmung hervor. Und die Popularität des Generals der al-Quds-Einheit für exterritoriale Operationen, Qasem Soleimani, erlangt mit insgesamt 82,7 Prozent Zustimmung einen neuen Spitzenwert.

  • Dagegen erreichen die Werte des iranischen Präsidenten Hassan Rohani mit insgesamt 65,5 Prozent Zustimmung und des Außenministers Mohammad Javad Zarif mit insgesamt 68,4 Prozent Zustimmung die niedrigsten Werte seit Juli 2014.

  • Dies gilt ebenfalls für den einst populären Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad, der nach anhaltenden Auseinandersetzungen - unter anderem mit der Justiz und der darauffolgenden wirklichen erstmaligen Kritik Ayatollah Khameneis - mit nunmehr insgesamt 47,1 Prozent die wenigste Zustimmung seit diesen Erhebungen erzielt.

Diese Zahlen sind bemerkenswert, versuchten doch eine Reihe von westlichen und arabischen Medien und Journalisten die Proteste als Anlass zu nehmen, um das militärische Engagement Irans in der Region als innenpolitisch unpopulär zu brandmarken. Nach diesen Befunden  seien aber gerade die Höchstwerte an Popularität für diejenigen Akteure, die eng mit diesem Engagement verknüpft sind, gar gestiegen und im Gegensatz dazu sei die Popularität für diejenigen Akteure, die partiell als Vertreter einer konzessiven Politik wahrgenommen werden, gesunken. In diesem Sinne passen ebenso folgende zwei Ergebnisse:

Mehr denn je für Autarkie und gegen Konzessionen

  • 67,4 Prozent der Menschen in Iran seien der Auffassung, dass die Erfahrungen mit dem Atomabkommen zeige, dass es für ihr Land grundsätzlich nicht erstrebenswert sei, Konzessionen zu machen, da ihr Land kein Vertrauen haben könne, dass die Weltmächte ihren Part der Vereinbarung auch einhalten werden. So sei eine immer größere absolute Mehrheit von nun 67,3 Prozent der Meinung, dass das Land sich selbst versorgen müsse, statt den Handel mit dem Ausland zu intensivieren. Das ist ein neuer Spitzenwert, der im Juli 2014 noch auf 53 Prozent betrug.

Mehrheit für eigene Raketenentwicklung trotz Sanktionsandrohungen

  • 94,9 Prozent in Iran würden es für wichtig halten, eigene Raketen herzustellen, darunter seien 73,8 Prozent, die es für "sehr wichtig" halten. Hinzu kommen 85,2 Prozent, die die Ansicht verträten, dass ballistische Raketen auch trotz der Sanktionsandrohungen der USA und selbst Europas weiterhin getestet werden sollen. Und die absolute Mehrheit von 64,9 Prozent widerspräche prinzipiell der Meinung, dass die Regierung weniger Geld in die Raketenentwicklung stecken solle.

  • 70,1 Prozent in Iran seien der Meinung, dass ihr Land gar weiter fortgeschrittene Raketen entwickeln solle, selbst dann, wenn die USA damit drohen würden, die aufgehobenen Sanktionen aus dem Atomabkommen wieder zu verhängen. Nur 24,0 Prozent seien bereit, die Entwicklung von fortgeschrittenen Raketen zu beenden, falls umgekehrt die USA zustimmen würden, mehr Sanktionen aufzuheben.

Für Deutsche mag die militaristisch anmutende Einstellung der Iraner_innen befremdlich wirken, dabei würde aber verkannt werden, dass die Deutschen sich aufgrund der Erfahrungen des 2. Weltkrieges nach wie vor zu einem großen Teil als "Tätervolk" betrachten und aufgrund dessen eher pazifistische Präferenzen haben, wogegen die Iraner_innen aufgrund des 8-jährigen Verteidigungskriegs gegen Saddam Husseins Irak - in dem sie weitestgehend von der restlichen Welt allein gelassen worden sind - sich als "Opfervolk" wahrnehmen und infolgedessen wehrhafte Präferenzen haben. Diese zwei grundlegend unterschiedlichen kollektiven Erfahrungen bringen beide Völker dazu, entsprechend anders über Pazifismus, Wehrhaftigkeit und Militär zu denken.

"Geschrumpfte" Mehrheit für eigenes Atomprogramm, zumal Anerkennung durch internationale Gemeinschaft

  • Da der Atomkonflikt seit mehr als zweieinhalb Jahren gelöst ist, seien "nur" noch 85,8 Prozent in Iran größtenteils der Meinung, dass es "sehr wichtig" sei, dass ihr Land ein Nuklearprogramm unterhalte. Aber nur maximal 26 Prozent von ihnen sähen dies aus militärischen Gründen als wichtig an. Die absolute Mehrheit von ihnen von mindestens 58,2 Prozent befänden dies aus Gründen der Wissenschaft, der Forschung, des technologischen Prestiges, der Wirtschaft und der Energiegewinnung für wichtig. Und 58,1 Prozent dächten eine friedliche Koexistenz zwischen der Islamischen Welt und dem Westen für möglich.

Anders als in Deutschland, wird in Iran die Atomtechnik - wie vermutlich auch in der restlichen Welt - als eine fortschrittliche Technologie betrachtet. Jedenfalls wird in Iran das Nuklearprogramm nicht als ein Mittel betrachtet, um westliche Verbündete oder Nationen auszulöschen.

Staatliche Fernsehsender weiterhin die Hauptquelle für Nachrichten

  • Die allermeisten Menschen  in Iran, nämlich 82,7 Prozent würden sich überwiegend über die staatlichen Fernsehsender über nationale und internationale Angelegenheiten informieren. An zweiter Position sei dies mit 65,5 Prozent die sozialen Netzwerke wie die Messanger-App Telegram der Fall und auf den dritten Rang mit 58,4 Prozent das Internet.

Der Konsum von Nachrichten über soziale Netzwerke und über das Internet verbucht damit im Vergleich zu 2012 einen rasanten Anstieg. Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu sagen, dass staatliche und selbst konservative Medien und Akteure in dieser Hinsicht schon längst ihre Hausaufgaben gemacht haben und nicht mehr wie in der Vergangenheit versuchen, allein den Zugang zum Netz einzuschränken, sondern sie bieten eher massiv ihre Inhalte im Internet und bei Telegram an. Anders als noch im Jahr 2009, wo im Internet fast nur reformorientierten Wähler_innen des damaligen unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mousavi vorzufinden waren und dadurch im Westen ein völlig falscher Eindruck der Realitäten vor Ort entstand, sind heute immer mehr konservative Experten_innen, Journalisten_innen, Aktivisten_innen und Nutzer_innen vertreten, die sogar teils Englisch sprechen und beispielsweise bei Twitter bei dem einen oder anderen westlichen Journalisten_innen als Korrektiv wirken.

Fazit

Die repräsentative Studie führt noch weitere aufschlussreiche Befunde an, wie beispielsweise die Befragungen über den Haushaltsentwurf der Regierung, der in Iran und im Westen als eine Ursache der Proteste thematisiert worden ist, und deren neoliberale Eckpunkte gemäß den Ergebnissen dieser repräsentativen Umfrage im diametralen Widerspruch zu den absolut mehrheitlichen linken Wirtschaftsansichten der Bevölkerung stehen. Wegen des ohnehin in Iran bekannten Wissens über diese starken linken Vorstellungen in der Bevölkerung, wurde der Haushaltsentwurf vom konservativen* Parlament inzwischen teilweise revidiert und verabschiedet.

Dank der kommunikativen Globalisierung erhielt diese US-amerikanische demoskopische Untersuchung auch in Iran zum ersten Mal einen großen Raum für Debatten und Diskussionen. Indes reagiert der iranische Präsident Rouhani auf die sichtbar aufkeimende Unzufriedenheit über seine Wirtschaftspolitik und -leistung mit teils populistischen Forderungen nach mehr Freiheiten, um zum einen von seinem Misserfolg in der Wirtschaft abzulenken und zum anderen diese wirtschaftsmotivierte Unzufriedenheit im Sinne seiner engsten Verbündeten die Reformer hin zu mehr Demokratie zu kanalisieren. Wie erfolgreich diese Taktik sein wird, ist fraglich. Die herkömmliche Meinung besagt, dass sich Menschen weniger für mehr Demokratie begeistern lassen, wenn sie den Eindruck haben, dass es ihnen ökonomisch nicht gut gehe. Dazu kommt, dass nach mehreren repräsentativen Umfragen die meisten Iraner_innen bei den letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ohnedies Entscheidungsträger - einschließlich Rohani - gewählt haben, nicht weil sie mit ihrer Wahl etwa den Wunsch nach liberalen Freiheiten verknüpft hätten, sondern mit der Hoffnung und Erwartung auf einer bessere wirtschaftliche Entwicklung.

So oder so zeigt diese aktuellste US-Studie abermals, dass die Menschen in Iran keinen Wechsel des politischen Systems anstreben, sondern allenfalls eine inneriranische Reform jenseits von politischen Intervention aus dem Ausland. Die vom Wunschdenken motivierten Analysen über die angebliche Unzufriedenheit über das militärische Engagement des Landes in der Region einerseits und die angebliche Unzufriedenheit über fehlende liberale Freiheiten in der Islamischen Republik andererseits, müssten mit dieser gemäß den Regeln der Sozialforschung durchgeführten Umfrage in das Reich der Märchen verbannt sein. Gerade in Deutschland sollte man spätestens seit den Querelen um Stuttgart 21 skeptisch sein, Proteste und Kundgebungen als Belege dafür heranzuziehen, was die Mehrheit denke.

*Tatsächlich vertreten die konservativen Kräfte und insbesondere die sogenannten Hardliner in Iran weitgehend eine linke Wirtschaftspolitik, mitunter aus diesem Grund wird die Bezeichnung "Konservative" von ihnen selbst zurückgewiesen. Sie selbst bezeichnen sich "Prinzipialisten" und so werden sie auch in Iran genannt.

Nachtrag:

Inwieweit repräsentative Befragungen in Iran - sei es über Telefon oder persönlich vor Ort - ein echtes Meinungsbild der iranischen Gesellschaft abspiegelt wird häufig von Kritikern derer Ergebnisse in Zweifel gezogen. Einer der Haupteinwände ist der Vorwurf, dass die Befragten aus angeblicher Furcht vor Konsequenzen in ihrer ehrlichen Meinungswiedergabe behindert sein könnten. Dies ist angesichts der zahlreichen Schreckensmeldungen über Iran ein berechtigter Einwurf. Etliche Meinungsforschende haben sich jedoch bereits dazu geäußert. Einige Gegenargumente lauten inhaltlich wie folgt:

  • Der ehemals in Iran inhaftierte Soziologe und Exilant Dr. Hosein Ghazian, selbst Leiter des US-Meinungsforschungsinstituts iPOS gewesen, hält Repräsentativerhebungen in Iran für solide. Die ausgebildeten Interviewenden seien darauf geschult, das Vertrauen der Befragten zu erlangen, indem beispielsweise zunächst einfache und vertrauensbildende Fragen gestellt würden und erst, wenn das Vertrauen hergestellt worden sei, würden die heikleren Fragen gestellt. Ein anderer führender Meinungsforscher, Dr. Ebrahim Mohseni von der US-Universität Maryland, weist darauf hin, dass die Fragen und Antwortmöglichkeiten auf eine Weise bestehen, die eine authentische Auskunft der Befragten gewährleisten, ohne dass diese sie in eine vermeintliche Gefahr bringen könnte.

  • Niemand der Meinungsforschenden und Interviewenden zwinge die Befragten zur Teilnahme, jeder könne jederzeit auflegen bzw. das Gespräch beenden oder die Antwort auf eine Frage überspringen. Die Rate der Verweigerung der Teilnahme an diesen Meinungsumfragen beziehungsweise die Weigerung, Auskunft auf Fragen zu geben, sei allerdings bei den Menschen in Iran geringer als beim US-amerikanischen Volk. So werde innerhalb einer Umfrage sogar die in der veröffentlichten Meinung bzw. in offiziellen Iran kaum behandelten, aber heiklen Fragen nicht auffällig häufiger übersprungen als andere heikle oder triviale Fragen, die offiziell und inoffiziell heiß und kontrovers in Iran diskutiert würden. Alles in allem ergäben die Ergebnisse der Erhebungen eine in sich plausible und schlüssige Meinungsabbildung.

  • Es sei vom US-Institut World Public Opinion festgestellt worden, dass die Resultate von telefonischen und persönlichen Vorort-Umfragen sehr ähnlich seien. Würden die Befragten sich jedoch fürchten, ihre wahre Antworten anzugeben, müsste es Unterschiede und Auffälligkeiten geben.

  • Die Befragten in Iran gäben nicht bloß "ja" und "nein" als Antworten an, sie würden ihre Antworten begründen, die Fragen kommentieren und schlügen gar vor, wie man sie besser formulieren könnte, und sie würden sogar die Interviewenden fragen, was deren Antworten wären und möchten demnach eine politische Diskussion mit ihnen führen. Eine der großen Herausforderungen sei es daher, die Interviewenden beizubringen, wie man mit einer solchen grundsätzlich politisch engagierten Bevölkerung umzugehen hat.

  • Die gleichen Umfragen mit der gleichen wissenschaftlichen Methodik würden auch Ergebnisse liefern, die nicht im Sinne der Islamischen Republik sind. Interessanterweise würden teilweise die gleichen Umfragen-Kritiker diese Ergebnisse herauspicken, um sie für ihre eigenen irankritischen Argumente zu verwenden.

  • Last but not least ist anzuführen, dass Befragte während des Interviews die Ergebnisse durch die sogenannte „Soziale Erwünschtheit“ verzerren können, das heißt, sie könnten sich aufgrund einer Erwartungshaltung gegenüber einem westlichen Forschungsinstitut liberaler oder westlicher geben, als sie es eigentlich sind.

Iran-Experte Shayan ArkianShayan Arkian ist Chefredakteur von IranAnders und Autor von zahlreichen Analysen über die iranische Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.

 

 


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Observer19-02-18

Interessanterweise folgt auf die Skala der beliebtesten ausländischen Akteure in Iran nach der libanesischen Hisbollah die Bundesrepublik Deutschland. Gerade im Januar ist die Popularitätswerte Deutschlands gestiegen, vermutlich hat man in Iran registriert, wie der deutsche geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sich bzgl. der Proteste sehr zurückhielt und vielleicht als der erste führende westliche Entscheidungsträger in der Geschichte zum Ersten mal nicht wie sonst allein die Islamische Republik für gewaltsame Zusammenstöße bei Protesten die Verantwortung gab, sondern auch den Protestierenden! Das kam ja bei der aufhorschenden pro-israelischen Lobby in Deutschland gar nicht gut an, hat man ihn daraufhin entsprechend hart rangenommen und er musste sich vor laufender Kamera bei der ZDF-Sendung "Berlin direkt" rechtfertigen und ruderte daher teilweise zurück. Gut aber, dass diese Affäre in Iran nicht unbemerkt blieb.

Iran-Kenner20-02-18

Sehr schöne Analyse!

Was mir aber bei der Analyse fehlt, aber vermutlich würde es ihr Rahmen sprengen, ist, dass es in Iran selbst eine Reihe von unwissenschaftlichen und ominösen Umfragen gibt, die bestimmte Akteure oder gar staatliche Stellen aus eigenem Interesse kreieren. Und wenn diese Ergebnisse dann kritisch gegenüber bestimmte oder mutmaßliche offizielle Politiken oder Zustände sind, werden sie hier im Westen und den Umfragen-Kritikern plötzlich breit zitiert, obwohl jeder Beobachter weiß, dass diese Umfragen politisch inszeniert sind, um den politischen Gegner zu schaden oder von den eigenen Fehlleistungen abzulenken. Manchmal heißt es sogar, dass die Umfragen "geheim" wären, um das Ganz noch einen exklusiven Anstrich zu geben und um zu suggerieren, dass über solche kritische Dinge in Iran angeblich nicht gesprochen werden könnte und daher die Umfrage auch geheim durchgeführt worden wäre.

Abgesehen davon, dass es sich für mich nicht erschließt, wie man eine repräsentative Umfrage "geheim" oder "nicht geheim" durchführen kann und wo da der Unterschied ist, stelle ich mir die Frage: Entweder haben die Menschen Angst ihre wahre Meinung zu sagen oder nicht? Wie kommt es, dass wenn sie jedes Mal bei wissenschaftlich akkuraten Umfragen von US-Instituten angeblich sich fürchten, ihre echte Meinung zu sagen und das teilweise sogar am Telefon, aber ausgerechnet bei unfundierten und gefährlich klingenden "geheime" Umfragen und das noch teilweise vor staatlichen (sic!) Stellen keinerlei Furcht spüren, ihre authentische Meinung zu sagen??

Diese notorischen Iran-Kritiker backen auch ihre Welt, wie es ihnen gefällt!

Saeed25-02-18

Gute Analyse und natürlich viel sachlicher als die Iran-Analyse der Mainstreampresse.





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