29.01.2018 Mehrdad Saeedi

Führt eine geschlechtslose Sprache zu einer Entdiskriminierung? Fallbeispiel: Persisch


Iranische Absolventen der renommierten Technischen Universität Amir Kabir in Teheran.

Iranische Absolventen der renommierten Technischen Universität Amir Kabir in Teheran.

Es gibt wahrscheinlich keine Debatte in Deutschland, die so kontrovers und hitzig geführt wird - und gleichzeitig alle Menschen betrifft - wie die Debatte über die geschlechtergerechte  Sprache. Darunter ist eine Sprachlenkung zu verstehen, die bewusst bestimmte Aspekte der Sprache mit Argumenten aus der feministischen Sprachkritik beziehungsweise der Geschlechterforschung ("Gender Studies") umändern will. Es steht also eine feministische respektive linksliberale Denkhaltung dahinter. Selbst aus der Perspektive der Befürworter kann man daher ruhigen Gewissens von bewusster Sprachkorrektur sprechen.

Die Befürworter dieses sogenannten Gender-Sprache argumentieren im Sinne der Philosophin Judith Butler (geb. 1956), dass Geschlechtsidentität nichts natürlich Gegebenes, sondern etwas sozial, kulturell und sprachlich Konstruiertes sei. Man könne und dürfe also den Menschen bzw. dessen Kultur ändern. Deshalb ist es ihr erklärtes Ziel, eine sprachliche Gleichstellung von allen Menschen - unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung - herzustellen, denn es bestehe eine Notwendigkeit, die uralte männliche Dominanz in der Sprache aufzuheben.

Von der Unsichtbarkeit zur Sichtbarmachung bis Neutralisierung der Geschlechtsfrage

Seit den 1990ern zieht das Thema der geschlechtergerechten Sprachverwendung in breiterem Maße die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich und wird erstmals angewandt, insbesondere in den öffentlichen Einrichtungen und Schulen. Ebenso wurde die Gesetzeslage EU-weit dementsprechend geändert. Rechtlich handelt es sich beim amtlichen Sprachgebrauch seitdem nicht mehr bloß um eine beliebige Wahl, die man nach Ermessen treffen kann, sondern in der Regel um eine Pflicht. So steht beispielsweise im zweiten Paragraphen der „Gemeinsamen Geschäftsordnung der Berliner Verwaltung“ (GGO I): „Die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern ist zu beachten.“

Den Ausgangspunkt der Debatte bildete die Kritik an der Verwendung von maskulinen Nomen im Plural ("Liebe Leser"), die aber auch Frauen mit meinen, jedoch nicht sichtbar machen. Seither ist ein regelrechter Kampf um das politisch korrekte Ansprechen von Menschengruppen mit ungleichem Geschlecht ausgebrochen: Die einen plädieren für die explizite Nennung beider Geschlechter ("Liebe Leser und Leserinnen"), die anderen machen sich die wiederum stark für die Verwendung von Gap ("Liebe Leser_innen"), um auch die queeren Geschlechtsidentitäten miteinzubeziehen. Und eine weitere Gruppe hingegen möchte das Geschlecht mit Xen ("Liebx Lesex") völlig aus der Sprache verbannen. Es gibt noch gefühlte Dutzende sich widerstreitende Vorschläge, Empfehlungen und Konstellationen, um das neu erkannte Problem zu lösen.

Geschlechtslosigkeit im Persischen

All diese Debatten und Querelen sind in der persischen Sprache fremd, obzwar sie als indogermanische Sprache mit der deutschen Sprache verwandt ist und die altpersische Sprache kongruent die drei grammatischen Geschlechter Maskulinum, Femininum und Neutrum hatte - die allerdings im Laufe der Evolution bereits um 300 v. Chr. verschwanden.

Das heutige Persisch kennt infolgedessen weder den bestimmten Artikel (der/die/das/den/dem/des) noch irgendein grammatisches Geschlecht, womit Nomen mit Artikeln ("das Auto"/"die Sonne"/"der Mond") oder Adjektive (schöne/-r/-s) geschlechtlich markiert werden könnten. Das heißt, ebenfalls sind sämtliche Variation der Pronomen, wie er, sie, es, sein, ihr, diese, dieser, dieses, diejenigen, derjenigen, dasjenige, welche, welcher, welches, wen, wem, wessen etc. pp. geschlechtsneutral. Anders als im Falle des in den Gender-Sprachkreisen hochgefeierten Finnischen sind im Persischen sogar keine Geschlechtsendungen von Subjektiven vorgegeben, die Leser, Kollegen oder Freunde in männlich oder weiblich unterscheiden!

Dieser Umstand macht es gerade für Deutsch-Iraner und -Iranerinnen sehr attraktiv, im Gespräch mit Gleichsprachigen auf Persisch zu kommunizieren, wenn es zum Beispiel darum geht, zu erzählen, dass man mit einem "geschlechtsneutralen" Mitarbeiter oder Freund unterwegs war und somit das Geschlecht offen lassen möchte. An diesem Beispiel ist gut sichtbar, wie spielerisch das alltägliche Sprachhandeln ohne geschlechtsspezifische Suffixe gestaltet werden kann.

Insgesamt ist zu konstatieren, dass im Persischen schon längst die Gleichstellung der binären Geschlechter vollzogen wurde und es sich auch aufgrund dessen um eine erkennbar leicht erlernbare Sprache handelt.

Fazit

Natürlich kann man die sprachstrukturelle Geschlechtslosigkeit des Persischen (selten Iranisch und zunehmend Farsi genannt) als großen Segen betrachten, sich nicht - wie im deutschsprachigen Raum - in extrem mühsame, scheinbar endlose Debatten zur Gender-Sprache verwickeln zu lassen. Nebenbei führen die Auswirkung dieser Debatten meines Erachtens bereits dazu, die deutsche Sprache unästhetisch und unfunktional zu machen.

Im Hinblick auf das Persische und dessen exemplarischem Kernland Iran muss man hier aber auch sagen, dass das reine Fehlen des grammatischen Geschlechts nicht automatisch einem Fehlen von soziokulturell bedingten problematischen Sprach- und Denkweisen über Geschlechter und Machtverhältnisse gleichkommt. Die hartnäckigen Spuren der männlichen Sprachdominanz ungrammatischer Natur und gar sexistischen Sprachgebrauchs im bewussten sowie unbewussten Sprachverhalten vieler Iraner und ja auch Iranerinnen, unabhängig von ihrem Alter, ihrem Bildungsgrad und ihrer sozialen Stellung, konnten nämlich in den letzten Jahren in mehreren wissenschaftlichen Studien innerhalb der Islamischen Republik Iran und von iranischen Soziolinguisten selbst belegt werden. Für die Debatte in Deutschland könnte dies bedeuten, dass selbst eine etwaige absolut geschlechtsneutrale Sprache nicht zwingend eine Entdiskriminierung des weiblichen oder sonstigen Geschlechts zur Folge haben wird.

Mehrdad SaeediMehrdad Saeedi ist Sprach- und Kulturforscher mit Schwerpunkt auf den persischen Sprachraum (Iran, Afghanistan und Tadschikistan). Er studierte Germanistik und Iranistik an der Universität Potsdam und an der Freien Universität Berlin (FU) und promovierte in Zentralasien-Studien an der Humboldt Universität Berlin (HU).

 


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Jasmin29-01-18

Ich finde es sehr weit gegriffen, die deutsche und persische Sprache in einen Vergleich zu setzen und daraus soziokulturelle Schlüsse zu ziehen. Der Iran und Deutschland haben ganz andere historische und kulturelle Entwicklungen durchlaufen. Und auch heute gibt es ein mehr oder weniger anderes Rollenverständnis, sodass man in keiner Weise behaupten dürfte, dass eine geschlechtsneutrale Sprache kaum was an der Geschlechter(un-)gerechtigkeit ändern würde. Da spielen viel zu viele andere kulturelle Eigenheiten eine Rolle.

Judith Butler behauptet eher, dass das biologische Geschlecht schon immer von Normen und sozial-konstruierten Bedeutungen belegt ist. Das sehen wir in jeder Kultur, dass das Weibliche und Männliche in ihrer Bedeutung und Wertigkeit anders konstruiert wird. Butler wird sicher nicht behaupten, dass auch Männer gebärfähig sind. Das sind nur Frauen und im Zuge dessen werden Mütter als heilig betrachtet, in China wird einer schwangeren Mutter das Kind weggeschabt. Das konstruiert auch Wertigkeit.

Und außerdem ist die englische Sprache, die Judith Butler ja spricht, auch ziemlich geschlechtsneutral, sie kann es zumindest eher sein als die deutsche Sprache.

Lies mich31-01-18

Hallo Jasmin,

so wie ich den Artikel verstehe, sagt er nicht aus, dass "eine geschlechtsneutrale Sprache kaum was an der Geschlechter(un-)gerechtigkeit ändern würde", sondern dass "eine etwaige absolut geschlechtsneutrale Sprache nicht zwingend Entdiskriminierung des weiblichen oder sonstigen Geschlechts zur Folge haben wird."

Gruß

Sarah01-02-18

Ein längst fälliger Artikel, danke hierfür.

Mich würde jedoch interessieren, ob man damals 300 Christus sich dafür entschieden hat, dass das vorige Maskulinum der neue Standard wird und damit alle anderen Geschlechter abdeckt oder das Neutrum? Oder wurde ein ganz neues "neutrales Geschlecht" allein für diesen Zweck geschaffen? Und was waren eigentlich die Beweggründe Maskulinum, Femininum und Neutrum aus der Sprache zu tilgen?

Über eine Antwort würde ich mich freuen.

Mehrdad01-02-18

Hallo Sarah. Danke fürs Feedback und die Frage. “Man“ hat das altpersische Geschlecht nicht etwa abgeschafft, als ob es schon damals überflüssig geworden wäre... Es war ja keine geplante, sprachpolitische Maßnahme von Seiten der damaligen Macht- und Kulturelite. Der Grund ist hingegen in der natürlichen Sprachentwicklung des Persischen zu suchen, die man sowieso und zumindest kurz- und mittelfristig nicht erheblich beeinflussen btw. umsteuern kann. Für ein solchen grammatischen Schwund spielen diverse sprachliche und nichtsprachliche Faktoren eine Rolle und zwar entlang eines hochkomplexen historischen Prozesses.

Barucha01-02-18

Genderinklusive Sprache ist weithin anerkannt, UNESCO, Kommunen, Institutionen - Sie greifen zu kurz! Mehr Recherche machen und als Wissenschaftler weniger Ideologie, dafür Fakten.

Sarah01-02-18

Hallo Mehrdad, merci für die Antwort. Verstehe ich es also richtig, dass die Ursachen dieser Entwicklung noch nicht (genug) ausgeforscht oder nicht (mehr) ermittelbar sind? Weil so eine Entwicklung kann sich ja nicht von ungefähr ergeben. Irgendjemand oder irgendetwas muss ja so einen Prozess eingeleitet haben.

Für die heutige Genderforschung ist das Wissen um diesen Prozess goldwichtig. Kenne in der Geschichte keinen anderen Fall, indem eine Sprache ihre geschlechtsspezifische Grammatik gänzlich verliert. Bin aber auch nicht die Historikerin. :-)

Mehrdad01-02-18

An Barucha:

1. Sie argumenieren, weil ausgerechent UNESCO und Co. (sprich allerlei internationale und staatliche Institutionen) das Sprachgendern bereits anwenden und es damit global salonfähig machen, dann ist dies ein wissenschaftlich untermauertes "Faktum"? Interessante Vorstellung von Wissenschaftlichkeit!?

2. Sie unterstellen dem Autor eine ideologische Haltung und empfehlen ihm mehr Recherche zu machen. Falls Sie aber mehr als er Recherche machen sollten, dann werden Sie merken - bei Fairness natürlich, was nicht Jedermanns Ding ist -, welche Partei hier Ideologie betreibt... Fall Sie den Artikel zu verstehen versuchen, handelt es sich dabei gerade um eine Kritik an "Ideologischem" Umgang mit dem Phänomen der Sprache bzw. mit der (natürlichen) Sprachentwicklung.

Mehrdad02-02-18

An Sarah:

Generell kann man von allen Sprachen behaupten, dass diese ständigen und langfristig gar erheblichen Veränderungen ausgesetzt sind, d. h. Sprachen könnten auch sogar irgendwann aussterben. Vor diesem Wissen ist also ein grammatischer Abbau des Geschlechts vor etwa 2300 Jahren im vorislamischen Persien nichts Außergewöhnliches.

Hinzu kommen die sprachhistorischen und sprachkontaktbezogenen Besonderheiten des Persischen als ein Kontinuum von drei je mehrere Jahrhunderte langen Sprachentwicklungsstufen (Neu-/Mittel-/Altpersisch). Die eigentliche Geschichte des (schriftlich festgehaltenen) Neu- bzw. Gegenwartspersischen, beginnt erst im 9./10. Jhd., während die Vorgängerstufen Altpersisch und Mittelpersisch mit je eigenen Schriften und Literaturen zwar rein linguistisch gesehen damit verwandt sind, aber für die heutigen Sprecher des Persischen kaum verständlich sind und in diesem Sinne als eigene Sprachen mit zum Teil eigenspezifischen grammatischen Merkmalen gelten können.

Martin19-02-18

@Mehrad - die Veränderung von Sprache erfolgt i.d. Regel aber durch die Menschen selbst und wird nicht von oben herab verordnet.





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